Publisher's Synopsis
Jürgen W. Falter Wir kennen das aus der Alltagserfahrung: Oft genug schließen wir von den politischen Einstellungen einer Person auf die Persönlichkeit ihres Trägers und umgekehrt. Nicht selten glauben wir, schon vom Äußerlichen, spätestens aber dann, wenn wir den Träger einer bestimmten Einstellung näher kennen lernen, aufgrund vermuteter Persönlichkeitszüge auf seine politischen Präferenzen schließen zu können. Nun ist die Alltagserfahrung sicherlich ein Instrument von höchst zweifelhafter Beweiskraft, dennoch zeigt sich immer wieder ihr heuristischer Wert für die wissenschaftliche Forschung, auch wenn sie natürlich niemals im Wissenschaftsprozess an die Stelle strenger systematischer Nachprüfung treten kann. In der empirischen Wahl-und Einstellungsforschung regierte lange Zeit der kaum jemals in Frage gestellte Konsens, dass Persönlichkeitsvariablen für die Erklärung von Wählerverhalten keine empirisch oder theoretisch bedeutsame Rolle spielten. Diese Überzeugung basierte auf Anmerkungen, die Angus Campbell und seine Mitautoren eher beiläufig im Rahmen des American Voter (1960: 506) darüber gemacht hatten, dass Persönlichkeitseinflüsse in Modellen von Wählerverhalten keinen signifikanten Beitrag zur zusätzlichen Varianzauf klärung leisten würden. Diese Position wurde in den auf die Erscheinung des American Voter folgenden Jahrzehnten nicht nur von US-amerikanischen, sondern von so gut wie allen empirischen Wahlforschern übernommen, so dass zumindest im Mainstream der Wahlforschung und darüber hinausgehend in praktisch der gesamten politischen Einstel lungsforschung die Persönlichkeit als potentieller Einflussfaktor zwar in allgemeinen Ori entierungsmodellen (Smith 1968, Milbrath 1965, Falter 1972) berücksichtigt wurde, aber in konkreten Erklärungsansätzen nicht auftauchten. Wahlverhalten wurde entweder nur mit Hilfe sozialer Faktoren (Lazarsfeld et al. 1944; Berelson et al.